Superradianz 

Eine kurze Notiz english   English

1. Neoklassisch

Wie in Über die spontane Emission von Photonen  ausgeführt, kann die Emission eines Photons, also der Übergang eines einzelnen Atoms von einem höheren zu einem niedrigeren Energienivau, durch die logistische Gleichung beschrieben werden:

Die Änderung des Grundzustands ρgg ist dem Quadrat des Dipolmoments ρgg(1-ρgg) (= abgestrahlte Leistung) proportional. 

Stellt man diesen physikalischen Sachverhalt in den Vordergrund und gibt nicht ein "exponentielles Abklingen" als Lösung vor, so erhält man mit der Proportionalitätskonstanten k die Differentialgleichung: 

 

diff(rho[gg](t), t) = `*`(k, `*`(rho[gg], `*`(`+`(1, `-`(rho[gg]))))) 

 

auch bekannt als die logistische Differentialgleichung. Sie hat die "standartisierte" Lösung (ρgg(0)=1/2): 

 

 =  

auch bekannt als logistische Funktion, oder kumulative logistische Verteilung (bzw. Fermi-Dirac-Verteilung - an der Hochachse gespiegelt). 

 

Mit der Ableitung (= vom Dipol abgestrahlte Leistung): 

 

     = =  =         

      

Grundzustand ρgg (rot) und Ableitung von ρgg nach der Zeit (grün):

 

Plot_2d 

Leider sind einzelne Atome und ihre Zustände und Übergänge nicht ganz einfach zu beobachten. Wie wäre es mit einem "makroskopischen Atom", also einer "geeigneten Ansammlung von N identischen Atomen"?  

Dann müsste man - rein theoretisch - in obiger Gleichung für ρgg nur die 1 durch N ersetzen. Die logistische Gleichung lautet dann 

> DG := diff(y(t), t) = `+`(`-`(`*`(k, `*`(y(t), `*`(`+`(N, `-`(y(t)))))))); -1; DG
 

Typesetting:-mprintslash([diff(y(t), t) = `+`(`-`(`*`(k, `*`(y(t), `*`(`+`(N, `-`(y(t))))))))], [diff(y(t), t) = `+`(`-`(`*`(k, `*`(y(t), `*`(`+`(N, `-`(y(t))))))))]) (1)
 

Zum Vergleich mit der quantenoptischen Beschreibung (s.u.) wurden die Bezeichnungen (und das Vorzeichen) an die Notation von Mandel und Wolf [MaWo] angepasst. Diese DG hat die allgemeine Lösung 

> dsolve(DG);
 

y(t) = `/`(`*`(N), `*`(`+`(1, `*`(exp(`*`(k, `*`(N, `*`(t)))), `*`(_C1, `*`(N)))))) (2)
 

bzw. mit t0 als zeitliche Verschiebung

> logsolt0 := simplify(subs(_C1 = `/`(`*`(exp(`+`(`-`(`*`(k, `*`(N, `*`(t0))))))), `*`(N)), rhs(y(t) = `/`(`*`(N), `*`(`+`(1, `*`(exp(`*`(k, `*`(N, `*`(t)))), `*`(_C1, `*`(N))))))))); -1; y(t) = logsolt...
 

y(t) = `/`(`*`(N), `*`(`+`(1, exp(`*`(k, `*`(N, `*`(`+`(t, `-`(t0))))))))) (3)
 

was sich auch als tanh-Funktion schreiben lässt

> `/`(`*`(N), `*`(`+`(1, exp(`*`(k, `*`(N, `*`(`+`(t, `-`(t0))))))))) = `+`(`*`(`/`(1, 2), `*`(N, `*`(`+`(1, `-`(tanh(`+`(`*`(`/`(1, 2), `*`(k, `*`(N, `*`(`+`(t, `-`(t0)))))))))))))); -1

Im Vergleich zur standardisierten Lösung ändert sich also nicht nur die Amplitude, sondern auch die Proportionalitätskonstante im Exponenten um den Faktor N. Für die abgestrahlte Leistung gilt dann

Typesetting:-mprintslash([strahlung := `+`(`-`(`/`(`*`(`^`(N, 2), `*`(k, `*`(exp(`*`(k, `*`(N, `*`(`+`(t, `-`(t0))))))))), `*`(`^`(`+`(1, exp(`*`(k, `*`(N, `*`(`+`(t, `-`(t0))))))), 2)))))], [`+`(`-`(... (4)

was sich auch wie oben als sech2-Funktion schreiben lässt.

Hier ist eine Veranschaulichung für k=0.5, t0=2 und N=2,5,10 (rot: Zustand, blau: Strahlung): 

Plot_2d
 

Allein aus dieser "neoklassischen" Behandlung ergibt sich also, dass die abgestrahlte Leistung mit N2 wächst, und die volle Halbwertsbreite des Pulses proportional zu 1/Nk ist, was als charakteristisches Merkmal für Superradianz gilt.

 

2. Quantenoptische Beschreibung

In "Optical Coherence and Quantum Optics", L. Mandel and E. Wolf, S. 844 (16.6-14) [MaWo] findet man die Differentialgleichung

> DGM := diff(y(t), t) = `+`(`-`(`*`(A, `*`(N, `*`(y(t), `*`(`+`(1, `-`(`*`(`+`(1, `-`(`/`(1, `*`(N)))), `*`(y(t)))))))))));
 

Typesetting:-mprintslash([DGM := diff(y(t), t) = `+`(`-`(`*`(A, `*`(N, `*`(y(t), `*`(`+`(1, `-`(`*`(`+`(1, `-`(`/`(1, `*`(N)))), `*`(y(t)))))))))))], [diff(y(t), t) = `+`(`-`(`*`(A, `*`(N, `*`(y(t), `... (8)
 

Darin ist y(t) = |c2(t)|2 die Dichte des angeregten Zustands, N die Anzahl Atome und A der "Einsteinkoeffizient". Diese DG hat die allgemeine Lösung 

> dsolve(DGM);
 

y(t) = `/`(`*`(N), `*`(`+`(`-`(1), `*`(exp(`*`(A, `*`(N, `*`(t)))), `*`(_C1, `*`(N))), N))) (9)
 

Damit wird allerdings die Dichte des angeregten Zustands für negative Zeiten größer als 1 

> `assuming`([limit(y(t) = `/`(`*`(N), `*`(`+`(`-`(1), `*`(exp(`*`(A, `*`(N, `*`(t)))), `*`(_C1, `*`(N))), N))), t = `+`(`-`(infinity)))], [`>`(N, 0), `>`(A, 0), `>`(_C1, 0)]);
 

limit(y(t), t = `+`(`-`(infinity))) = `/`(`*`(N), `*`(`+`(N, `-`(1)))) (10)
 

und für ein einzelnes Atom unendlich. Aber das lässt sich ja beheben, wenn man wie [MaWo] nur positive Zeiten betrachtet, und die Dichte zur Zeit 0 auf 1 setzt:

> sol1 := dsolve({DGM, y(0) = 1});
 

Typesetting:-mprintslash([sol1 := y(t) = `/`(`*`(N), `*`(`+`(`-`(1), N, exp(`*`(A, `*`(N, `*`(t)))))))], [y(t) = `/`(`*`(N), `*`(`+`(`-`(1), N, exp(`*`(A, `*`(N, `*`(t)))))))]) (11)
 

Damit sehen die Lösungskurven für N=1..10 so aus

Plot_2d

 

3. Vergleich Neoklassik - Quantenoptik

Obige quantenoptische Lösung (11) bezieht sich auf ein Atom. Zum Vergleich mit der neoklassischen Lösung muss sie mit der Zahl N der Atome multipliziert werden:

Typesetting:-mprintslash([Mandel := proc (A, N) options operator, arrow; `/`(`*`(`^`(N, 2)), `*`(`+`(`-`(1), N, exp(`*`(N, `*`(A, `*`(t))))))) end proc], [proc (A, N) options operator, arrow; `/`(`*`(... (13)

Mit

Typesetting:-mprintslash([neoklass := proc (A, N) options operator, arrow; `+`(`*`(`/`(1, 2), `*`(N, `*`(`+`(1, `-`(tanh(`+`(`*`(`/`(1, 2), `*`(N, `*`(A, `*`(`+`(t, `-`(`/`(`*`(ln(`+`(N, 1))), `*`(N, ... (14)
 

erhält man dann (rot: "quantenoptisch", blau: "neoklassisch")

> display(seq(plot([Mandel(.5, N), neoklass(.5, N)], t = -2 .. 4), N = [1, 2, 5, 10, 20]));

Plot_2d Plot_2d

Wobei die rechte Abbildung das Verhalten der Lösungen für t<0 verdeutlicht.

D.h., ein einzelnes Atom "zerfällt" exponentiell, aber sobald nur ein zweites Atom hinzukommt, "zerfallen" beide logistisch. Das liegt natürlich am gemachten Ansatz. Der Zustand des "N-Atome Systems" wird als ein Produktzustand von Überlagerungszuständen angesetzt ([MaWo] S. 841)

mit identischen zeitabhängigen Amplituden c für alle Atome, wodurch "cooperative atomic radiation" [MaWo] entsteht. Die Bedingung dafür ist eine "geeignete Ansammlung" (s.o.), d.h., die Ausdehnung der Ansammlung der Atome muss wesentlich kleiner sein als die Wellenlänge der Strahlung, die dann natürlich kohärent ist, wenn alle Atome in Phase schwingen.

Man bildet mit den "Leiteroperatoren" b ([MaWo] S. 744, (15.2-14)): 

den Erwartungswert ([MaWo] S.842, (16.6-10))

was wegen b+b = |2><2| bedeutet, dass für m=n (also in einem einzelnen Atom) paradoxer Weise keine Übergänge stattfinden.  

Bleibt zu erwähnen, dass in [MaWo] auf den Seiten 845-847 für N ≫ 1 eine Näherungslösung erarbeitet wird, die mit dem neoklassischen Ergebnis identisch ist.

Ergänzungen

1. Dipolmatrixelement: Die Proportionalitätskonstante k (in der logistischen Gleichung, oder im Exponenten der Exponentialfunktion) ist sowohl quantenmechanisch als auch klassisch proportional zum Quadrat des Dipolmoments D und zur dritten Potenz der Frequenz f der Strahlung: k ~ D2f3.

Nachfolgend das Quadrat des quantenmechanisch berechneten Dipolmoments in atomaren Einheiten für die Übergänge (n+1) → n  mit jeweils maximalem Drehimpuls (l = n-1) und m = 0:


Wie aus gängigen Abschätzungen bekannt, ist das "quantenmechanische Dipolmoment" proportional zu n2. Aber es ist schon erstaunlich, wie gut die Ausgleichsgerade zu den Punkten passt - quasi klassisch! Wie sieht nun die Abhängigkeit von D2 von der Frequenz aus? Ziemlich genau proportional zu f -4/3 . Wenn das nun f -2 wäre, könnte man an eine dritte Quantisierung glauben: N(hf) = h(Nf) :-)).

2. Weshalb diese Anführungszeichen?
"neoklassisch": Nachdem E.T. Jaynes seine Wette verloren hatte, ist "neoklassisch" fast schon zu einem Schimpfwort geworden - noch schlimmer als "semiklassisch". In der Wette ging es aber um die Lamb-Shift.
"zerfallen": Ein Atom zerfällt nicht wie ein Kern in einzelne Bestandteile, wenn ein Elektron von einem energetisch höheren zu einem niedrigeren Zustand übergeht, und dabei elektromagnetische Strahlung emittiert wird. (Wenn das so wäre, hätte der Fernsehturm in Stuttgart schon lange keine Antenne mehr :-).
"Einsteinkoeffizient A": Einstein machte in seinen Ratengleichungen (Zur Quantentheorie der Strahlung, Phys. Z. 18, 1917) den Ansatz, dass auch ohne jede Wechselwirkung die Änderungsrate eines Ensembles von N angeregten Atomen proportional zu N ist: dN/dt = -A*N.  N nimmt also exponentiell ab. Aus dieser rein statistischen Aussage lässt aber A nicht berechnen. Weil aber elektromagnetische Strahlung von Dipolen (Multipolen) ausgeht, und ein Funkeninduktor klassisch gut beschrieben werden kann, hat man das exponentielle Abklingen der Strahlung eines Funkeninduktors mit der exponentiellen Abnahme des Ensembles gleichgesetzt, natürlich "quantenmechanisch korrekt" unter Verwendung von "Matrixdipolmomenten". Seither "zerfällt" jedes einzelne Atom mit der gleichen "Zerfallskonstanten" wie das ganze Ensemble, und aus Einsteins A-Koeffizient wurde die "Zerfallskonstante des Atoms". Wenn aber alle N Atome die gleiche (exponentiell abklingende) Strahlung abgeben, wären sie doch immer superradiant? Ach so, die Atome können ja auch inkohärent und spontan entscheiden, wann sie mit der Abstrahlung beginnen. Wenn aber jedes Atom seine Zeit t = 0,  zu der es mit seinem Zerfall beginnt, frei definieren kann, haben wir das Problem, dass ein Ensemble nie zerfällt...

© März 2022, Dr. Michael Komma (VGWORT)

Literatur:  [MaWo] Optical Coherence and Quantum Optics, L.Mandel and E.Wolf (Cambridge University Press 1995, reprinted 2008).

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