Das Märchen vom Quantenradierer
Doppelspalt mit Polarisationsfolien
 Auszug aus einem Maple-Worksheet
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								 Wir kennen alle die Überlagerung zweier transversaler Schwingungen. Eine Schwingung mit horizontaler Polarisationsrichtung (grün), die andere (rot) mit Winkel α zur ersten. Zur Vereinfachung haben hier beide Schwingungen die gleich Amplitude. Das Ergebnis (blau) hängt vom Phasenunterschied δ der Schwingungen ab und sieht als Funktion der Zeit dargestellt so aus (α = 60°): 
 Es gibt nun Experimente, bei denen man hinter einen Doppelspalt Polarisationsfolien mit unterschiedlicher Richtung klebt, um damit "den Weg des Photons zu markieren". Natürlich funktioniert die Überlagerung zweier transversal polarisierter Wellen auch klassisch: Die resultierende elektrische Feldstärke kann so angesetzt werden (x- und y-Komponente): 
 
 
 
 Das ergibt z.B. folgende Polarisationsellipsen (Kurven, die der E-Vektor im Laufe der Zeit beschreibt), wenn man den Phasenunterschied δ der beiden Schwingungen variiert: 
 
 Die Ellipsen mit Phasenunterschied δ als Parameter liegen in einem Parallelogramm - Raute für gleiche Amplituden - und haben ihre Hauptachsen auf den Diagonalen des Parallelogramms. 
 Oder als Animation 
 
 Sind das die Heiligenscheine der Quantenradierer? Wir suchen lieber nach etwas Beobachtbarem! Bringt man z.B. die Lichtstrahlen (oder Wellen?), die einen Doppelspalt mit Polarisationsfolien verlassen "auf einem Schirm zur Interferenz", so ergäben sich folgende Bilder, wenn man die Polarisationsellipsen sichtbar machen könnte: 
 
 Leider kann man aber diese Polarisationsellipsen nicht sichtbar machen, weil 
es nur Schirme, Detektoren und Atome gibt, die über die Zeit mitteln. Man sieht 
aber schon im obigen Bild, dass in der untersten Reihe die Amplitude der 
Schwingung (und damit die Intensität) "überall gleich groß" ist, während sie in 
der obersten Reihe stark variiert. Animation links: Dies entspricht der untersten Zeile von oben, also orthogonale Polarisationsrichtungen. Auf einem Schirm sind keine Interferenzstreifen sichtbar, weil die Intensität überall gleich groß ist. In der Mitte (y = 0) hat man rechtszirkular polarisiertes Licht, dann kommt bei y = 2.5 diagonal polarisiertes Licht (von links oben nach rechts unten) und bei y = 5 linkszirkular polarisiertes Licht, usw... Animation rechts: "Gedankenexperiment", in dem von unten (z = 0) nach oben (z = 10) der Winkel zwischen den Polarisationsrichtungen von 90° auf 0° verkleinert wird (damit es nicht langweilig wird, in Bezug auf die Vertikale :-)). Mit einer räumlichen Modulation des Lichts (spatial light modulation = SLM) kann man ähnliche Experimente auch in der Realität durchführen, sogar mit einzelnen Photonen! Im vorliegenden Fall ("Quantenradierer mit Doppelspalt") würde man also hinter einem Spalt ein Polarisationsfilter verwenden, dessen Polarisationsrichtung sich von unten nach oben kontinuierlich verändert. Damit erhielte man dann Interferenzstreifen, deren Sichtbarkeit von unten nach oben kontinuierlich zunimmt. 
 Für die weitere Untersuchung brauchen wir das Zeitmittel der Intensität Dafür bilden wir zunächst das Quadrat des Betrags der Resultierenden und erhalten die Intensität als Funktion der Zeit 
 
 
 
 oder vereinfacht 
 
 Und integrieren über eine Periode 
 
 
 Für α oder δ = 90° bleibt die Intensität konstant 1. Polarisationsfilter unterscheiden nicht zwischen 0° und 180°, also 
 
 
 Der Faktor |cos(α)| ist nichts anderes als die Sichtbarkeit des Interferenzmusters, die alle Werte zwischen 0 und 1 annehmen kann (und nicht nur die Randwerte 0 und 1). Die Intensitätsstreifen auf dem Schirm sehen dann so aus, wenn man den Polarisationswinkel α verändert: 
 
 
 Man sagt manchmal auch "zwei senkrecht zueinander polarisierte Wellen können nicht interferieren" (Fresnel - Arago) und verwechselt dabei oft Interferenz mit Superposition. Die armen Wellen! Wenn man sich das Bild "Polarisationsellipsen auf dem Schirm" noch einmal anschaut, können die Wellen viel mehr als man sieht (und denkt): in allen Fällen sind je nach Gangunterschied alle Sorten der Polarisation vertreten, nur für α = 90° ist eben die über die Zeit gemittelte Intensität gleich groß. Und wo bleibt nun der Quantenradierer? Wir versuchen es mit einem dritten Polfilter, der mit der Horizontalen den Winkel β einschließt. Das liefert die mittlere Intensität 
 
 Oder nach Vereinfachung 
 
 Speziell für α = 90° ist das 
 
 Im nächsten Plot ist die voll sichtbare 
Interferenz (ohne Polfilter, 
α = 0°) 
rot dargestellt und für 
α = 90° 
schwarz (Sichtbarkeit = 0).
 
 
 Animation der Intensitätskurve, bzw. der Streifen, wenn man den Polfilter dreht (α = 90°): 
 
 Man braucht also weder Quanten noch Radierer, um 
die Interferenz polarisierter Wellen zu beschreiben - das geht ganz klassisch. 
Aber "Licht besteht doch aus Photonen" und man kann das Experiment auch mit 
einzelnen Photonen machen?
 Das ist aber nur ein weit verbreiteter Trugschluss, siehe David Ellerman "A very common fallacy...". Kurzfassung: Wenn man mit dieser Anordnung tatsächlich eine Information über den Weg des Photons bekäme, könnte es nie mehr mit sich selbst interferieren. Man radiert also mit dem dritten Polfilter nicht Information aus, sondern Intensität, also Photonen! Weitere Paradoxa aus der Quantenfolklore (inzwischen werden ja auch "Baukästen für Quantenradierer" angeboten): 
 Die Quantenfolklore findet sich inzwischen auch in Abituraufgaben (nach obigem Baukastenprinzip): "In einem 
								Experiment werden Elektronen aus der Ruhe heraus 
								durch eine Spannung von 1,70 kV beschleunigt und 
								treffen senkrecht auf einen Dreifachspalt. 
								Hinter dem Dreifachspalt wird in einer Ebene 
								parallel dazu mit einem Elektronendetektor die 
								Häufigkeitsverteilung gemessen. Der 
								Spaltmittenabstand beträgt 200 nm. Der 
								Elektronendetektor befindet sich 20,0 cm hinter 
								dem Dreifachspalt.
								 Hier ist noch eine Abituraufgabe: 
								Zitat =============================== Anfang Nun ja: an einem "einzelnen Elektron" kann man keine Interferenzeigenschaften beobachten, sondern nur am Ensemble. Der Nobelpreisträger Feynman hat das oft genug betont. Deshalb hätte er auch nie die Frage gestellt, ob sich "die Apparatur im Vakuum befinden muss". Was soll ein Schüler auf diese Frage antworten? 1. Wenn sich die 
								Apparatur im Vakuum befindet, gibt es auch 
								keinen Beobachter? Weit gefehlt! Als Antwort wird 
								erwartet (sinngemäß): Wenn sich die 
								Apparatur nicht im Vakuum befindet, liefern die 
								Luftmoleküle "im Prinzip Welcherweginformation", 
								und das zerstört die Interferenz! Ja - so einfach ist die Cargo-Kult-Quantenphysik-Didaktik: Man nimmt die prägnante Formulierung eines Nobelpreisträgers (und genialen Didaktikers) und bastelt daraus einen neuen Abi-Aufgabentyp (Schüler soll Nobelpreisträger interpretieren). Dann tagen Aufgabenkommissionen im Vakuum und zelebrieren ohne jegliche Weginformation im Ensemble den Cargo-Kult jährlich neu. So radiert man systematisch das Verständnis für Quantenphysik aus! Das Feynman-Cargo-Original  | 
Siehe auch: Polarisationsarten | Sichtbarkeit von Interferenz | Matrixoptik - Quantenoptik | Verschränkung
Licht - Quanten | 
Quantenoptik für Amateure
Leseproben: 
		
Matrixoptik | Harmonischer 
Oszillator | Quantisierung 
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